Der sanfte Weg: Regiomagazin

„Siegen durch Nachgeben“, auf diesem Prinzip beruht der japanische Kampfsport Judo. Wie das funktioniert, kann man im 1. Budo Club Eschweiler e.V. lernen.

Bevor Michael Degenhart die Sporthalle in der Kaiserstraße in Eschweiler betritt, macht er in der Eingangstür eine Verbeugung. Seine Schützlinge, Mädchen und Jungen im Alter von sechs bis acht Jahren, warten bereits in der Halle auf ihn. „Die Verbeugung gehört bei unserem Sport mit dazu“, erklärt Michael Degenhart. „Es ist gewissermaßen ein Ritual, mit dem ich meinen Respekt vor dem Ort bezeuge.“ Degenhart ist Geschäftsführer und Trainer beim 1. Budo Club Eschweiler e.V. und trainiert an diesem Freitagnachmittag den Judo-Nachwuchs.„Mokuso“, kommandiert er und fordert damit die kleinen Judoka zur Konzentration auf: Die Kinder sind nun ganz ruhig, schließen die Augen und verharren eine Zeitlang bewegungslos. „Rei“, sagt der Trainer nach einiger Zeit und beendet damit die Konzentrationsphase – ebenfalls ein typisches Judo-Ritual, das dazu dienen soll, den Alltag auszublenden und sich voll auf das anstehende Training zu konzentrieren. „Wir vermitteln das schon den Jüngsten, denn es ist ein wichtiger Bestandteil des Judo“, sagt Michael Degenhart.

Spielerisch zur richtigen Technik

Nun beginnt das Training. Nach einigen Aufwärmübungen lernen die Kinder Griffe und Techniken, auf die es beim Judo ankommt – und zwar ganz spielerisch. Einige der Mädchen und Jungen laufen als „Schildkröten“ über die Matten, während die anderen versuchen, sie auf den Rücken zu drehen. Das ist gar nicht so einfach, doch die Kinder haben eine Menge Spaß. „Es geht uns darum, wichtige Grundbewegungsmuster des Judo in Spiele einzukleiden und auf diese Weise grundlegende Techniken zu üben“, erläutert der Trainer. „Ziel beim Judo ist es immer, sein Gegenüber auf den Rücken zu bringen, und zwar ohne ihn zu verletzen. Dafür gibt es natürlich eine Vielzahl spezieller Griffe und Würfe, denen wir uns auf diese Weise spielerisch nähern. Für die Kinder ist es erstmal wichtig, das richtige Körpergefühl zu entwickeln und auszuprobieren, wie sie ihre Kraft am besten einsetzen, um den anderen in die gewünschte Position zu bekommen.“

Judo bedeutet, aus dem Japanischen übersetzt, „der sanfte Weg“ – und letzten Endes geht es auch für die Fortgeschrittenen und die Meister um das, was die Kinder im 1. BC Eschweiler spielerisch erlernen: „Wie setze ich meine Kraft bestmöglich ein, das heißt so, dass ich mit geringem Aufwand einen möglichst großen Effekt erziele“, bringt es Judo-Abteilungleiter Karl-Dieter Cremers auf den Punkt. „Nur wer die Technik optimal beherrscht, kann die notwendigen Würfe und Griffe auch gegen den Widerstand des Partners – beim Judo sprechen wir nicht vom Gegner, sondern vom Partner – durchführen. Dazu ist jede Menge Übung erforderlich, die man hier im Club erwerben kann.“ 

Körper und Geist

Über 200 Mitglieder gehen im 1. Budo Club Eschweiler e.V. den japanischen Kampfkünsten nach: Budo ist ein Oberbegriff, denn der Verein bietet neben Judo auch noch den Schwertkampf Kendo sowie die Kampfkunst Aikido an. „Unsere Wurzeln liegen aber im Judo, das wir seit 1971 hier in Eschweiler betreiben“, so Jörn Stermann-Sinsilewski, der 1. Vorsitzende des Budo-Clubs. Ganz wesentlich für diesen Sport ist neben der technischen Kunst auch das sogenannte moralische Prinzip. „Ziel ist neben der vollkommenen Körperbeherrschung immer auch die Kontrolle des Geistes – beides zusammen ergibt die Überlegenheit des Judomeisters“, weiß Jörn Stermann-Sinsilewski, der seit seinem sechsten Lebensjahr als Judoka aktiv und ebenfalls Trainer im Verein ist.

Werte, Regeln und Geschicklichkeit

„Das moralische Prinzip ist beim Judo viel mehr als nur Theorie. Es äußert sich ganz konkret in den zehn Judowerten, die bei uns im Verein gelebte Praxis sind: Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit, Respekt, Bescheidenheit, Wertschätzung, Mut, Selbstbeherrschung und Freundschaft – das sind die Werte, die für jeden Judoka Geltung haben und die wir schon den Anfängern vermitteln“, sagt Karl-Dieter Cremers. „Dazu gehört zum Beispiel auch das ritualisierte Begrüßen am Anfang des Trainings oder die Verbeugung vor dem Partner, bevor ein Kampf beginnt“, ergänzt Michael Degenhart. „Die Kinder erhalten so neben dem Sport auch ein Wertesystem, das als wichtige Orientierung bei der Persönlichkeitsentwicklung dient.“

Gerade bei Kindern und Jugendlichen kommt die Kombination aus Werten, Regeln und körperlicher Geschicklichkeit gut an – das zeigt sich nicht nur an der seit Jahren konstant hohen Mitgliederzahl in der Jugendabteilung des Vereins, sondern auch an der Begeisterung, die die Trainer immer wieder bei Kooperationen mit Kindergärten oder Schulen erfahren. „Wir bieten regelmäßig Judo-AGs an Kindergärten, Grund- und auch weiterführenden Schulen an, und die Resonanz ist sehr gut“, so Jörn Stermann-Sinsilewski. „Im vergangenen Jahr haben wir unseren Sport zusätzlich am „Tag des Judos“ an insgesamt sechs Schulen vorgestellt, da waren über 500 Schülerinnen und Schüler dabei.“ Durch solche und andere Aktivitäten gewinnen die Eschweiler Judoka immer wieder auch neue Mitglieder, denn „manch einer ist danach so begeistert, dass er sich dauerhaft für Judo entscheidet.“ Und es anschließend mit so viel Eifer betreibt, dass er auch an Wettkämpfen teilnimmt. „Bei den Kindern und Jugendlichen sind wir wettkampfmäßig von der Kreismeisterschaft bis auf die Landesebene vertreten, von unseren erwachsenen Judoka kämpfen einzelne sogar in der Bundesliga“, so Michael Degenhart.

Integration durch Judo

Dass Judo auch ein hohes integratives Potenzial hat, beweist der Verein seit 2017 durch ein ganz besonderes Projekt: „Im Rahmen einer Kooperation mit dem RegioSportBund Aachen e.V. trainieren bei uns auch Flüchtlinge und Kinder mit Migrationshintergrund: Sie lernen so nicht nur Judo, sondern verbessern im Umgang mit den anderen Kindern und Jugendlichen gleich auch noch ihr Deutsch“, sagt Abteilungsvorstand Karl-Dieter Cremers.

Wer sich für Judo interessiert und in den Kampfsport zunächst mal hineinschnuppern möchte, ist in Eschweiler herzlich willkommen – auch als Erwachsener. „Judo kann man auch im fortgeschrittenen Alter noch prima lernen und ausüben – ein kostenloses Probetraining ist bei uns jederzeit möglich. Wir haben 17 lizensierte Trainer, da kann sich immer einer einzeln um die Neulinge kümmern“, sagt Karl-Dieter Cremers und ergänzt: „Auch ich bin erst als Erwachsener über meinen Sohn zum Judo gekommen und muss sagen: Gegen die Hektik des Alltags und Stress im Beruf gibt es nichts Besseres – nach den ersten Minuten auf der Matte fällt das alles von einem ab.“

Judo ist heute die am weitesten verbreitete Kampfsportart der Welt. Begründet wurde das moderne Judo Ende des 19. Jahrhunderts von Kano Jigoro, indem er auf gefährliche Aktionen aus der traditionellen Kampfkunst Jiu-Jitsu wie Tritte, Stöße oder Schläge verzichtete: Beim Judo soll der Partner zwar besiegt, aber nicht verletzt werden. Das oberste Ziel des Judo, das kurz nach der Jahrhundertwende auch in Deutschland Fuß fasste, sah Kano Jigoro in einer vollkommenen Kontrolle über Körper und Geist; bis heute beinhaltet Judo auch eine Philosophie zur Persönlichkeitsentwicklung, die unter anderem auf den „Judowerten“ wie Hilfsbereitschaft, Respekt, Selbstbeherrschung beruht.

Artikel: Regiomagazin

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